„Spiel mit links“ oder „gelinktes Spiel“

erstellt am: 25.03.2022 | von: Gerhard Waiz | Kategorie(n): Unkategorisiert

Gedanken zum Klavierpart in Josef Labors Trio und Cellosonate

von Holger Busch

Seite 1 der Partitur des „Trios für Klavier, Klarinette und Cello“, die Gerhard Waiz, der Cellist des Ensembles TRIS, in liebevoller und zeitaufwändiger Arbeit als Abschrift des Manuskripts in lesbare Form gebracht hat, wartet mit folgender Besonderheit auf: „Mit Gott angefangen am 15. August 1917“. Das weckt mein Interesse und ich schlage die letzte Seite auf, tatsächlich lese ich nach zwei Viertelpausen und Doppelstrich die Angabe „15. November 1917“, und derart sind auch alle anderen Sätze genau datiert, das wäre mal rechtschaffen konsequent.

Eine Zueignung findet sich nicht unter dem Titel, bei erster Durchsicht schaut das Ganze eher durchsichtig denn überladen aus; nur auf dem Deckblatt der „Cello-Sonate in C-Dur“ steht der Zusatz: „für Herrn Paul Wittgenstein“ und naturgemäß links oben: „Mit Gott angefangen am 18. August 1918“. Endlich ist der Zugeeignete namentlich genannt, wie es vielleicht mit Beethoven salonfähig wurde, in diesen Fällen aber sind beide Werke dem Pianisten Paul Wittgenstein tatsächlich „auf den Leib geschrieben“.

Notiert ist der Klavierpart traditionell in zwei Systemen im Violin- und Bassschlüssel und scheint über lange Strecken ausgewogen. Wüsste man nichts weiter von den realen Umständen, begänne der Pianist folglich drauflos zu studieren, spielen, lernen, verfeinern, aber Innehalten: Paul Wittgenstein verlor 1915 im Ersten Weltkrieg den rechten Arm! Interessanterweise fehlt jegliche Angabe zu dieser Tatsache, kein „Für die linke Hand allein“ in all seinen sprachspielerischen Variationsmöglichkeiten. Andere scheuten nicht davor zurück, klare Handhabung vorzuschreiben und schenkten den Pianist*innen dieser Welt vollwertige bis geniale Werke eben für die linke, seltener auch für die rechte Hand allein; von Labor kein Wort dazu. Womöglich wollte man um diese Besonderheit gar kein Aufhebens machen, Wittgenstein weiter als „normaler“ Pianist anerkannt sein und nicht wegen eines Handicaps?

Diese zwingende, weil pragmatische Tatsache enthebt beide Werke dem Verdacht, „Showstücke“ zu sein, die ihre Wirkung dem akrobatischen Gestus des Pianisten verdanken. Dennoch stellen sich bei Ausführung allein mit der linken Hand eine Reihe von Herausforderungen, wobei ich am Beispiel des Trios auf einige davon explizit hinweisen möchte:

Tatsächlich hatte ich das Trio ursprünglich linkshändig einstudiert und mit TRIS so auch wiederholt in Konzerten gespielt. Die CD Aufnahme, die wir im Sommer 2020 einspielten, war eine andere Herausforderung, Tonstudio statt Konzertsaal hieß vor allem auch: Stunden währende Aufnahmen mit Wiederholungen, bis alles passt. Schaffte ich dies zuverlässig, ohne den kleinen Finger der rechten Hand zu rühren, der gewohnt ist, eine silbrige oder strahlende Oberstimme im Akkordspiel dem Instrument zu entlocken? Da sollte nun stets der Daumen der linken Hand einspringen und eine Aufgabe übernehmen, für die er nicht Jahrzehnte hinweg trainiert worden war? Eine große Bürde wurde mir auferlegt, die es verantwortungsvoll zu meistern galt.

Die Entscheidung fiel nach reiflicher Überlegung, wieder und wieder Hinterfragens: Ich fasste Mut und lernte das Trio „neu“ ein unter Hinzuziehung meiner rechten Hand! Nicht ständig und überall, nicht aus Bequemlichkeit, lediglich in großer Verantwortung der künstlerischen Qualität des Werkes gegenüber.

Ich verneige mich vor dem großen Pianisten Paul Wittgenstein, dem dazu nur seine linke Hand zu Verfügung stand. Ich nehme die Aufgabe an und bediene mich der Mittel, die mir zu Verfügung stehen: zweier Hände. Andernfalls bliebe das Werk weiterhin in Vergessenheit, die Handschrift schlummerte unbemerkt im Nachlass Josef Labors.

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